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Fluchthilfepreis geht ins Wendland

Sie hat Mut und Entschlossenheit bewiesen – unter Inkaufnahme persönlicher Konsequenzen: Franziska Hagelstein aus Tießau hat den erstmals verliehenen „Fluchthilfepreis“ bekommen.

Glückwunsch & danke für dein Engagement!

fluchthilfepreis ejz(aus EJZ, 5.12.2016, Titelseite)

Rede der Preisträgerin Franziska Hagelstein

Meine Damen und Herren,
ich danke ihnen ganz herzlich für diese Auszeichnung.

Vor allem aber, möchte ich meinem Mann Thomas, danken, der in 32 Tagen und Nächten, trotz Angst und Aufregung, in der Lage war, dafür zu sorgen, dass wir aus dem Gefängnis entlassen wurden. Danken möchte ich auch unseren Freunden, Christoph, Sylvia, Hauke, Uschel, Dagmar und vielen anderen, die ihm mit Trost und Rat zur Seite standen. Und meinen Kindern: Fine, Lea, Wanda, sowie Omid, dass ihr in der schweren Zeit, den Mut nicht verloren habt.
Ja, dass ihr alle da seid, war so manches Mal für mich ein Licht in der Finsternis. Das Wissen, dass es Menschen gibt, denen ich wichtig bin, hat mir die Kraft gegeben, die ich damals so dringend gebraucht habe.

Und natürlich danke ich Ludwig, der mich begleitet hat, auf dieser Reise – der zusammen mit Ramesh und mir im Gefängnis saß, und der, der Halt für Ramesh in der Gefängniszelle war.

Vor zweieinhalb Jahren haben wir uns auf den Weg nach Griechenland gemacht, um einen Jungen abzuholen, von dem ich damals nur wusste, er ist der kleine Bruder, des Liebsten, meiner Tochter. Es war mir schon klar, dass er Flüchtling ist, dass er nicht einfach kommen darf, dass es illegal ist, was ich vorhabe.

Aber mein Herz und meine innere Stimme haben mir gesagt, dass es das ist, was für mich ansteht, gerade in diesem Moment.
Wäre ich damals nicht aufgebrochen, hätte ich vielleicht miterleben müssen, dass dieser kleine Bruder tragisch verunglückt, wie so viele Menschen auf der Flucht vor Krieg und Ausweglosigkeit. Das wollte ich nicht. Und so habe ich mich zum Handeln entschlossen. Heute ist mir Ramesh ans Herz gewachsen. Einen langen Weg sind wir gemeinsam gegangen und ich bereue keinen Schritt davon.

Im vergangenen Sommer hat Deutschland eine Willkommenskultur kreiert, die aus vielen Herzen sprach. Die Politik ging es damals mit, Frau Merkels Ansichten fanden Zustimmung in sehr CDU-fernen Kreisen. Inzwischen haben wir unsere Speicher mit jungen Menschen aufgefüllt – ausgesucht, wer passt, die Wirtschaft voran bringt, den Markt der Zukunft bedienen kann. Nun wendet sich die Politik, der Randgruppe zu, die aus der Enge des Herzens agiert. Und so werden in Deutschland, die Teile der Welt für sicher erklärt, die keinen Benefit versprechen, für die
Zukunft unseres Landes.

Aufgewachsen bin ich im Osten Deutschlands, so hatte ich das Glück, keiner Religion angehören zu müssen. Da die Politik in der DDR, für denkende Menschen jenseits der Pubertät, leicht zu durchschauen war, bin ich auch fast ohne Ideologie aufgewachsen. Heute bin ich frei, von diesen beiden Fesseln der Zivilisation, was nicht heißt, dass ich ohne Glauben und Ideale bin. Aber ich bin in der glücklichen Lage, sie mir frei wählen zu können. Dafür bin ich sehr dankbar.

So ist es mir vielleicht leichter möglich, aus meinem Herzen zu handeln, im Vertrauen darauf, dass ich meine Wahrheit kenne.

Vor gut zwei Jahren wollte ich Ramesh, der damals 14 Jahre alt war, nach Deutschland holen, um ihn in Sicherheit zu bringen. Dieser Impuls war nicht politisch, er war menschlich. Das Wort Flüchtlingskrise war noch nicht erfunden, obwohl auch damals viele Menschen unterwegs waren, auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben in Frieden und Freiheit. Geboren aus der Sicherheit meines eigenen Lebens, dachte ich sehr schlicht, dass ich es einfach nicht ertragen könne zu wissen – ein Kind irrt allein durch Europa. Von Rameshs großem Bruder Omid, wusste ich, wie lang und gefährlich sein Weg, von Afghanistan nach Deutschland war. Ich konnte einfach nicht zu sehen, dass sich das wiederholt. Wenn das Leid der Welt einen Namen, ein Gesicht bekommt, wenn es persönlich wird, muss man manchmal handeln. Und ja, natürlich wäre es besser, politische Lösungen zu finden, aber die dauern lange. Und wie oft, ist die politische Misere zum verzweifeln!

Und, weil es uns NICHT gelungen ist, weil wir an der bulgarisch-rumänischen Grenze SCHEITERTEN, ins Gefängnis kamen, verurteilt wurden und Ramesh in Bulgarien zurücklassen mussten, darf ich heute hier stehen und zu Ihnen sprechen.

Hätten wir es damals geschafft, wäre kein Wort darüber in der Öffentlichkeit möglich gewesen, denn dann müsste ich heute damit rechnen, von einem deutschen Gericht verurteilt zu werden.

Glauben wir wirklich, dass es Menschenleben gibt, die mehr Wert sind als andere? Hätte ich ein deutsches Kind, zum Beispiel vor dem Ertrinken gerettet, wären mir viele Ehren gewiss gewesen. Wir alle aber lassen Kinder, Männer und Frauen im Mittelmeer ertrinken, aus Angst, sie würden uns etwas wegnehmen, aus Hilfosigkeit, aus Dummheit. Weil dann vielleicht alle kommen würden? Würden Sie? Und haben wir, habe ich damit zu tun, dass sie nicht bleiben können, in den Ländern, in denen sie geboren wurden? Und warum errichten wir Zäune? Damit das Fremde draußen bleibt? Und fühle ich mich sicher, wenn es draußen ist? Oder macht es mir vielleicht gerade deshalb Angst, WEIL ich es nicht kenne, nicht kennen lernen kann, weil ich es aussperre?

Ich wünsche mir statt einer Kultur der Verunsicherung eine Kultur des Vertrauens, des Vertrauens in sich selbst, in das Gegenüber, in die Welt.
Warum schicken deutsche Behörden die Menschen nach Afghanistan zurück? Aus Angst, wir könnten zu viele werden? Aus Angst, die eigene Bevölkerung würde Druck machen, wenn sie hier blieben? Oder aus dem Vertrauen, dass Afghanistan ein guter Platz zum Leben ist? Wenn dem so wäre, dann müsste niemand in Afghanistan mit einer kugelsicheren Weste aus dem Hubschrauber steigen.

Manchmal braucht es Mut, dem eigenen Gewissen und seiner Intuition zu folgen, auch in Situationen, in denen andere mit Argumenten aufwarten, die wir vielleicht gerade nicht entkräften können, weil auch wir die Lösung noch nicht kennen. Aber um eine Lösung zu finden, müssen wir das Problem erst einmal lösen wollen.

Als meine Kinder klein waren, habe ich mir von Ihnen gewünscht, sie mögen die Wäsche zusammenlegen. Einträchtig waren sie der Meinung, das geht nicht, weil es Kleidungsstücke gibt, die einfach zu groß sind, es ist unmöglich, das kann ich nicht schaffen. Sehr oft, mal mit mehr, mal mit weniger Geduld, habe ich sie darauf hingewiesen, dass sie es erst einmal für möglich halten müssen. Lange Zeit, sahen sie nur, dass ein Pullover zu groß ist, dass sie es nicht schaffen können.

Erst wenn wir es für MÖGLICH halten, Lösungen zu finden, werden sie sich offenbaren. Heute sind meine Kinder ganz oder fast erwachsen, alle können Wäsche zusammenlegen, und meistens tun sie das auch gerne, weil sie wissen, dass sie es können. Es ist nicht wichtig, immer gleich den richtigen Weg zu kennen, viel wichtiger ist die Bereitschaft, ihn finden zu wollen und sich nicht entmutigen zu lassen, wenn wir uns einmal verirrt haben. Allein die Beschäftigung mit einem Thema, die aufrichtige Suche nach Veränderung, trägt die Lösung in sich.

Wir können nicht die Augen verschließen, die Zäune höher bauen und uns heraus reden, wenn Menschen vor unserer Haustür sterben. Das ist eine Katastrophe, eine menschliche, eine politische Katastrophe. Warum kann die Bundesregierung beschließen, dass es in Afghanistan sichere Regionen gibt? Wir müssten sagen, ich schicke dich nach Afghanistan zurück, obwohl ich weiß, dass du dort nicht sicher bist, dass es lebensgefährlich ist in Afghanistan. Aber ich schicke dich dorthin zurück, weil ich hier keinen Platz und kein Essen für dich habe, weil mir deine Gesinnung, deine Religion, dein Bildungsstand nicht passen.

Wenn wir das sagen würden, MüSSTEN wir uns fragen, ob es einen wirklichen Grund gibt, Menschen in ein Land zu schicken, in dem Krieg geführt wird, auch mit Waffen aus Deutschland. Waffen, die unseren Wohlstand sichern. Den Wohlstand, den wir nicht teilen wollen. Voll, ist das Boot Deutschland, noch lange nicht.

Im Gefängnis bin ich Ranja begegnet, einer Frau, die vor dem syrischen Krieg geflohen ist. Drei Tage haben wir die Zelle geteilt. Wir hatten keine gemeinsame Sprache, trotzdem habe ich viel über sie erfahren. Sie hat drei Kinder und einen verwundeten Mann und war auf dem Weg nach Deutschland, um hier eine Möglichkeit zu finden, ihrer Familie das Überleben zu sichern. Das sie dafür ins Gefängnis kam, hat sie, zu all der Pein, die sie schon erlitten hatte, als zusätzliche Schande empfunden. Und wenn ich meine Situation mit ihrer verglichen habe, dann war ziemlich klar, dass ich trotz meiner gefühlten Ausweglosigkeit irgendwann mein Leben in Sicherheit, Wohlstand und gesunden Familienstrukturen weiterleben würde. Gemessen an Ranjas Not hatte ich nichts zu befürchten.

Und trotzdem hat es für mich lange Zeit gedauert, bis ich mich erholt hatte. Und noch heute sagen meine Kinder, dass die Angst, die sie um mich hatten, Spuren gegraben hat, in ihre Leben.

Wie viele Menschen müssen täglich mit viel schlimmeren Erfahrungen, Erlebnissen, Bildern weiterleben, Hoffnung schöpfen aus Hoffnungslosigkeit, ihre Zukunft gestalten in ausweglosen Situationen und immer wieder neu anfangen!

Ich glaube, dass es unsere, meine Aufgabe ist, den Menschen, die sich an uns wenden, zu helfen. Sie mit den Mitteln zu unterstützen, die mir zur Verfügung stehen. Und ich glaube daran, dass jedem von uns etwas zur Verfügung steht, und sei es, die eigene Gesinnung zu überdenken und sich zu fragen, wie stelle ich mich dazu, dass die Bundesregierung behauptet, in Afghanistan könne man sicher leben, anstatt zu sagen, Menschen aus Afghanistan wollen wir hier nicht, wir nehmen lieber Syrer, die haben noch nicht so lange Krieg und sind besser ausgebildet. Aber auch von ihnen bitte nur so viele, wie Deutschland brauchen kann, um die Wirtschaft anzukurbeln und das gängige Modell am Laufen zu halten.

Grundgesetz und Asylrecht zum Trotz werden die Entscheidungen aus Angst vor der Flüchtlingsdebatte hierzulande getroffen. Das ist eine katastrophale Politik, die ihre eigenen Werte verleugnet.
Stellen sie sich vor, Ramesh würde nach Afghanistan geschickt werden, ein Land, dass er nach acht Jahren Flucht nicht einmal kennt. Was würde ihn erwarten? Er würde zum Kriegsdienst rekrutiert werden – von den Taliban oder von der Regierung. Auch er würde einer der zornigen jungen Männer werden, die die Welt zerstören. Alternativ könnte er sich das Leben nehmen. Aus genau diesem Grund ist sein älterer Bruder mit 14 Jahren von seiner Mutter weggeschickt worden, aus Afghanistan. Das kann niemand wollen, der auch nur einen Funken Anstand besitzt.

Halten wir es für möglich, dass ein Zusammenleben unterschiedlich Denkender gelingen wird. Und ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die wollen, dass es gelingt, und die bereit sind, ihren Teil beizutragen. Einige von ihnen kenne ich, unser Land ist voll von ihnen, im vorigen Sommer habe ich es gesehen, gehört, gelesen. Zusammen gestalten wir die Zukunft, gestalten wir Europa. In Hitzacker haben wir damit begonnen. Wir bauen Neuropa – ein Dorf für 300 Menschen aller Generationen und vieler Kulturen. Möge es gelingen!
www.hitzacker-dorf.de

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